A fuego lento en alemán
Die Milonga kocht auf kleiner Flamme. Am frühen Abend ist es kühl, die Kleidung frisch gebügelt, das Make-up und das Haar der Frauen tadellos.
Ein paar Stunden später brodelt das Lokal vor Hitze und Enthusiasmus. Alle sind nun da, und sogar noch ein paar mehr, und die Tanzfläche ist so voll, daß man praktisch nicht mehr tanzen kann. Alle sind gierig, niemand will eine Tanda versäumen. Freunde grüßen sich von ferne, wachsam wie Wachposten, um den Überblick über die dargebotenen Leckerbissen nicht zu verlieren. Die Frau bewegt sich nicht von ihrem Tisch weg, wie ein hungriger Lockvogel, der seiner Beute auflauert.
Unterdessen sind andere Dinge am Köcheln. Süße oder pikante Geschichten, manchmal auch bittere.
Manch ein alter Hase, von der Sorte, die nicht mehr gleich nach dem ersten Sieden durchgekocht sind, tanzt zum Aufwärmen mit denen, die ihm weniger gefallen, um sich von der Auserwählten ersehnen zu lassen, sie sich für die letzten Tandas zu reservieren und sie kurz vor der Sperrstunde richtig auszukosten.
Er weiß, daß man nicht gleich am Anfang das ganze Fleisch auf den Grill werfen soll. Wenn er zu früh anfangen würde, müßte er die ganze Nacht mit ihr tanzen oder sie in die Fänge der Geier abgeben, mit dem Risiko, daß sich der Effekt seiner Verführungskünste im Nichts auflöst. Einige weniger Geduldige werfen ihr Netz zu früh aus und gehen wie ausgekochte Kater auf die Pirsch.
Es gibt auch Mädchen, die sich gleich verbrennen. Der Naschhaftesten fällt das Warten schwer, und sie schnappt sich gleich am Anfang die beste Praline. Sie muß das Interesse wach halten, indem sie mehrere Tandas tanzt und sich ins rechte Licht rückt. Danach fordert sie keiner mehr auf. Und er setzt sie auf Diät, indem er mit anderen Frauen tanzt und sie sich für das Ende aufhebt, während sie brennt.
Die Klügeren nehmen zunächst mit einem Unvorsichtigen vorlieb, der den Wasserkessel erhitzt, damit ein anderer den Mate trinkt.
Aber früher oder später bekommen alle ihre Revanche. Die Rache ist ein Gericht, das kalt gegessen wird. Wer heute nur die Reste abbekommt, kriegt morgen das Hauptgericht. Wer heute der Aperitiv war, wird morgen die Kirsche des Desserts sein.
Gegen Ende der Milonga bleibt noch der Boden des Kochtopfs, das Konzentrat, die Essenz. Sie besteht aus den Blicken, die verloren gingen und nicht am Ziel ankamen, aus einer Mischung von Schweiß und Parfum, aus Versprechungen, aus verlorenen Schritten, aus zerschlagenen Träumen.
Es bleiben nur noch wenige übrig, im allgemeinen gute Tänzer oder so manch ein Beschwipster, der sich zu einsam fühlt, um nach Hause zu gehen. Mädchen in Zweier- oder Dreiergruppen, Freundinnen unter sich.
Jetzt ist die Gelegenheit, um den- oder diejenige auszukosten, auf den oder die man schon lange Lust verspürte. Man tanzt ungezwungen, die Tanzpaare machen Witze untereinander, auf der Tanzfläche ist viel Platz, es herrscht ein vertrautes, freundschaftliches Klima. Jetzt können Dinge passieren, die ein paar Stunden früher undenkbar gewesen wären. Am Ausgang der Milonga schlägt einer vor, ein Taxi zu teilen, und man hört: „Ich bringe dich nach Hause“ oder „nimmst du mich mit?“ oder „wer fährt wohin?“. Jeder ist zu müde für andere Sorgen.
Man könnte glauben, dass diese Dinge nur im Morgengrauen passieren. Aber es gibt auch Milongas am frühen Abend, bei denen man das Tageslicht nicht sieht und das Gefühl für die Zeit verliert, bei denen der Tag um zehn Uhr abends anbricht, wenn die Tänzer die Milonga erschöpft und glücklich wie nach einer langen Party verlassen.